Was will uns das IDW mit ihrem Wertekodex 2022 wirklich mitteilen?
Nach sechs Jahren Vorbereitung hielt das IDW die Zeit wohl für gekommen, den WP/vBP-Berufsstand mit einem Wertekodex zu „beglücken“. wp-net war nur kurz etwas beschämt, dass es nicht selbst auf die Idee „Wertekodex“ gekommen ist. Wir haben uns aber schon deswegen diese Arbeit gespart, weil wir der Überzeugung sind, dass jemand, der sich nicht an Gesetze und Satzungen hält, sich schon gar nicht an Regeln eines Wertekodex halten wird. Einige Blicke in Gesetze und WP/vBP-Berufssatzung mit Erläuterungen gaben uns die Gewissheit, dass es bereits genug Berufspflichten und Regelungen für die Abschlussprüfer gibt. Wenig erfolgreich erscheint uns der Weg, über Checklisten auf Basis von Prüfungsstandards hinreichende Prüfungssicherheit zu erlangen. Denn Checklisten begünstigen eine „Prüfung durch Hakenmachen“. So auch der AK Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft (NZG 2020, S. 938ff).
Das IDW nennt den Ehrenkodex zwar Wertekodex, aber die FAZ erkannte gleich, dass es sich wohl eher um einen „neuen Ehrenkodex“ handeln müsste. Der „alte Kodex“ wurde offensichtlich bislang nicht veröffentlicht.
Leidet der deutsche WP-Beruf an einer Minderausstattung mit Berufspflichten, Gesetzen, Satzungsregeln und Prüfungsstandards?
Unser aktueller „Pflichtenkodex“ steht in § 17 WPO und nennt sich Berufseid:
„Ich schwöre, dass ich die Pflichten eines Wirtschaftsprüfers verantwortungsbewusst und sorgfältig erfüllen, insbesondere Verschwiegenheit bewahren und Prüfungsberichte und Gutachten gewissenhaft und unparteiisch erstatten werde, (so wahr mir Gott helfe)“.
Der WP-Berufseid hat offensichtlich eine zu große Reichweite oder er behindert massiv die Bearbeitung aller möglichen Big4-Geschäftsfelder, die durch das Geschäftsmodell „Professional Service Firm (PSF)“ seit einigen Jahren auch in Deutschland bekannt geworden sind. Die aus dem Berufseid abzuleitenden Berufspflichten gehen einer PSF wohl zu weit. Da bekommt doch kein Wirtschaftsprüfer mehr die „Schlinge vom Hals“ und die Erwartungslücke greift helfend nicht ein. Das IDW-Papier ist gespickt mit Schönwetter-Phrasen und Versprechungen, wie sie häufig in einem Ehrenkodex Eingang finden (wir verhalten uns fair und ehrlich, Fehler gestehen wir ein und lernen aus Ihnen). Den größten Vorteil dieser Versprechungen sehen wir darin, dass die Kodexregeln so verpflichtend sind, wie die religiöse Forderung „Du sollst nicht sündigen.“
Sehr unterhaltsam geht es durch die sechs Seiten IDW-Wertekodex.
IDW-Motive für den IDW Wertekodex für Wirtschaftsprüfer*innen (IDW-W-W)?
Nach der Präambel zu schließen, könnte der Ehrenkodex eher ein Kommentar des Berufseids oder eine Zusammenfassung aller Berufspflichten sein. Dies würde es jedoch erforderlich machen, dass alle im Gesetz und Berufssatzung namentlich genannten Berufspflichten im Kodex auch genannt werden. Dem ist aber nicht so.
Ein verwirrendes Beispiel: Der Prüfungsbericht hat nach Gesetz, Berufssatzung und Berufseid unparteiisch und gleichzeitig auch gewissenhaft zu sein. Der Kodex beschreibt die Inhalte der Prüfungsberichte stufenweise. Der Kodex führt unter 2.2. eine neue Berichtseigenschaft ein, die wahrheitsgemäß heißt. Der unparteiische Prüfungsbericht des WP taucht dann unter 2.3. auf. Unter 2.4. bekommt der Prüfungsbericht eine weitere Eigenschaft: Der Inhalt des Prüfungsberichts muss klar und deutlich formuliert sein. Der Kodex schafft es nicht, die Kriterien für einen WP-Prüfungsbericht in einem Satz zu formulieren. Der IDW-Wertekodex verteilt die Qualitätsbestandteile des Prüfungsberichts auf die Bereiche integres Handeln, unabhängige und objektive Entscheidungen, sorgfältiges und gewissenhaftes Arbeiten mit hoher Fachkompetenz. Ganz bestimmt würde weder ein WP, noch die Öffentlichkeit in einem dieser Werte-Schubladen den Prüfungsbericht vermuten.
Der IDW-Ehrenkodex formuliert auch neue, wohl durch das Big4-Geschäftsmodell PSF entstandene Pflichten. So lesen wir, dass „Wirtschaftsprüfer gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, indem sie die Funktionsfähigkeit der nachhaltigen Markwirtschaft stärken, die den ökonomischen, ökologischen sowie sozialen Nachhaltigkeitszielen verpflichtet sind“. Wir suchten in den gesetzlichen und satzungsmäßigen Berufspflichten vergeblich nach dieser WP-Aufgabe.
Wir warten seit 2 Jahren auf die Antwort: Wo ist bei der EY-Wirecard-Prüfung die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung zu Tage getreten? Statt über ihre Wirecard-Prüfung zu schweigen, erzählen EY-Vertreter bei jeder Gelegenheit, alles richtig gemacht zu haben. Auch am Festhalten der Erwartungslücke seitens EY (Spiegel 18.06.21) erkennen wir, dass sich das IDW mit ihrem Versprechen zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung schwer übernommen hat. Hier erwarten wir gelebte Beispiele aus den Big4-Häusern, um solche Phrasen mit Leben zu füllen. Das Bedauern von EY, den Betrug nicht früher aufgedeckt zu haben, können wir nicht als Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung akzeptieren.
Dem IDW-Kodex fehlt die gründliche Analyse
Ein Treiber für den IDW-Kodex sollen die vor sechs Jahren aufgetauchten CumEx- und LuxLeaks-Fälle gewesen sein (so Prof. Naumann in der FAZ). Über die aktive Mitwirkung einiger Big4-Gesellschaften und das IDW selbst an der Nichtaufdeckung der CumEx-Fälle berichtet die Bürgerinitiative Finanzwende in mehreren Newslettern. Auch wir haben darüber in unserem Newsletter vom 30.6.2022 berichtet: Wer hat die Berufspflichten im IDW PS 300 vergessen? Ausführlich dazu die Bürgerinitiative Finanzwende in Die Verantwortung der WPs (Big4) bei CumEx.
Statt die Verfehlungen der Wirtschaftsprüfer bei CumEx beim Namen zu nennen, darf lt. Naumann die Steuerberatung nicht zu einer missbräuchlichen Schädigung des Staates führen. Eine unglaublich neue Erkenntnis für uns WP/StB!
Vor zwei Jahren forderte Prof. Naumann eine gründliche Analyse der EY-Wirecardprüfung bevor Regulierungsmaßnahmen ergriffen werden. Bis heute füllen Berichte über die EY-Prüfermängel Bibliothekswände. Der Gesetzgeber hat inzwischen die kritische Grundhaltung verschärft. Wir können nicht erkennen, dass die massiven EY-Prüfermängel im Kodex verarbeitet wurden. Leidet das IDW bei EY unter einer Interessenskollision, weil man dem zweitgrößten IDW-Beitragszahler EY nicht zu nahe treten will? Will das IDW der EY bei den laufenden Schadenersatzprozessen und Berufsaufsichtsverfahren durch Passivität beistehen?
Übergriffiger IDW-Kodex
Der IDW-Kodex ist ein weiteres Beispiel für die anmaßenden IDW-Verlautbarungen. Die Klarstellung von gesetzlichen Pflichten obliegt dem Beirat der WPK, eventuell kommen noch die Erläuterungen des Vorstands zur Berufssatzung hinzu. An die rechtsstaatliche Rangfolge bei der Schaffung von Grundsätzen und Normen, wie die WPK-Satzung, will sich das IDW anscheinend immer noch nicht halten.
Für den stärksten Übergriff des IDW halten wir deswegen die „Schaffung der Grundsätze für Qualitätskontrolle“ durch den IDW PS 140. Als bekannt wird vorausgesetzt: Die Qualitätskontrolle ist ein Eingriff in Art. 14 GG (Berufsausübungsfreiheit). Zur Regelsetzung gab und gibt noch heute das IDW folgende Losung aus:
Die Entwicklung von Grundsätzen für die Durchführung von Qualitätskontrollen obliegt in Deutschland dem IDW. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, in den §§ 57a ff. WPO konkrete Anforderungen an die Prüfungsdurchführung zu definieren“ (WP Handbuch 2019, E Rn. 205).
Ein Kommentar dazu erübrigt sich!
Abschließende Betrachtung. Was bedeutet dieser Wertekodex für den Berufsstand?
Aufgrund ihres (IDW)-Selbstverständnis wird niemand das IDW davon abbringen können, ihren Wertekodex als Beitrag zur Berufsarbeit zu veröffentlichen.
Wir erwarten aber von der WP-Kammer, den Wert dieses Kodex für den WP-Berufsstand einzustufen. Dem IDW-Kodex fehlt unserer Beurteilung nach u.a. die gründliche Fehleranalyse und die Skalierung. Das IDW fordert zum Auftakt von Regulierungen von anderen die gründliche Fehleranalyse. Ihren eigenen Wertekodex stellt das IDW ohne Fehleranalyse zusammen.
Der IDW-Wertekodex ist Teil der IDW-Verlautbarungen, wie IDW-Standards und -Hinweise! Zur Bedeutung der IDW-Verlautbarungen hat sich Dr. Schülke in seiner Diss. „IDW-Standards und Unternehmensrecht“ umfassend geäußert. Er kommt zu folgenden Ergebnissen (Diss. S. 333ff):
„Das IDW unterliegt keiner staatlichen Aufsicht, seine Mitglieder allerdings schon. Die Prüfungsstandards des IDW werden nicht kontrolliert, obwohl die Abschlussprüferrichtlinie eine Letztverantwortung der Abschlussprüferaufsicht auch für die Prüfungsstandards vorsieht. Das Verfahren, in dem IDW-Standards zustande kommen, ist nur rudimentär geregelt und kann als intransparent bezeichnet werden. IDW-Standards haben keine rechtliche Geltung. Sie erfüllen nicht die Anforderungen einer Rechtsquelle.“ Deswegen sind wir der Auffassung: Dieser IDW-Wertekodex ist der Regenschirm für die sonnigen Tage. Der mittelständische WP-Berufsstand braucht ihn nicht.
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Bildnachweis: Sharaf Maksumov, eamesBot/Shutterstock