wp.weekly | Wer hat an der ISA-220-Übersetzung gedreht?
Beitragsbild wp.weekly 13.12.2024 von WP/StB./RA, Dipl.Kfm. Holger Friebel: Analyse der IDW-KMU-Standards 2021. Fehlerhafte IDW-Übersetzungen. Dazu nachträglich durchgeführte inkonsistente Änderungen & Verschärfungen.
Kategorie: Aktuelles
Datum: 16.12.2024

Ein Geschenk sollte bekanntlich dem Empfänger Freude bereiten – nicht dem Schenker. Mit seiner Analyse der IDW-KMU-Standards 2021 hat WP Holger Friebel den Nagel auf den Kopf getroffen. Die zehn KMU-Standards haben wohl in der Praxis einen derart geringen Akzeptanzgrad erreicht, dass die tatsächlichen Anwender an einer Hand abzählbar sind. Jetzt haben sogar Universitätslehrstühle aufgrund dieses auffälligen WP-Desinteresses ein Interesse zur Ursachenforschung entwickelt.

Doch Holger Friebel fand bei seinen ISA-Recherchen noch weit schwerwiegenderes: Nachträgliche Eingriffe in bestehende Übersetzungen zu Verschärfungen. Was halten Sie davon? In einem seit Jahren bestehenden Regelwerk, wie dem ISA 220, die deutsche Übersetzung gegen eine andere Bedeutung auszutauschen. Frechheit – oder bloß ein Ausdruck von Inkompetenz?

Fast fände ich dieses Vorgehen amüsant, wenn es nicht so ernste Folgen hätte. Unsere kritische Grundhaltung lässt jedoch Schlimmes vermuten.

Lesen Sie also weiter und entdecken Sie die bemerkenswerte „Instabilität“ der IDW-Übersetzungen!

Eine harmonische Vorbereitungszeit und
entspannte und auch genussvolle Weihnachtstage
wünschen Ihnen
Michael Gschrei
und das Team von wp-net

wp.weekly

 


 

Liebe Kollegin, lieber Kollege,

erinnern Sie sich noch? Vor drei Jahren wurden die IDW-KMU-Standards als das große Weihnachtsgeschenk des IDW präsentiert. Kritische Stimmen behaupten allerdings, dass diese anscheinend hastig zusammengestellten Standards weniger ein Weihnachtsgeschenk als vielmehr ein Wahlkampfgeschenk an die mittelständischen Berufsangehörigen waren.

Selbst die Bezeichnung „KMU“ für „kleinere und mittlere Unternehmen“ konnte in Titel und Text nicht mehr angepasst werden – der Zeitdruck war vermutlich einfach zu groß. Dabei war man sich doch einig, dass nicht die Größe eines Unternehmens, sondern seine Komplexität das entscheidende Kriterium für die Anwendung der ursprünglich acht KMU-Standards ist.

Auch der Aufwand, die Texte gründlich zu überarbeiten und zu lektorieren, war offenbar zu hoch, um ihn vor dem angekündigten Veröffentlichungstermin Ende 2021 noch zu bewältigen. Und so blieben in der Eile nicht nur redaktionelle Schwächen, sondern auch einige potenzielle Anwender – und damit wohl auch Wähler – auf der Strecke.

 

 

Deshalb wurden die Standards neun und zehn eingeführt, um die zuvor „vergessenen“ Anwendergruppen doch noch einzubinden. Die Erkenntnis, dass sowohl Gesellschaften mit interner Revision als auch prüfungspflichtige Konzerne weniger komplex sein können, machte diese Erweiterung notwendig.

Doch wie plausibel ist diese Annahme wirklich? Weniger komplexe Unternehmen haben eine interne Revision – oder sind Teil eines Konzerns mit wirtschaftlichen Verflechtungen. Für mich spricht beides klar dafür, dass hier eine erhöhte Komplexität vorliegt. Warum sollte ein einfach strukturiertes Unternehmen überhaupt eine interne Revision benötigen? Und wie soll der Standardanwender vor Beginn der Prüfung zuverlässig beurteilen, ob die wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb eines Konzerns tatsächlich als „einfach“ eingestuft werden können?

Diese Fragen bleiben offen und werfen Zweifel daran auf, wie gut die Standards für solche Szenarien geeignet sind.

 

 

Ich vermute, dass die Erweiterung der KMU-Standards darauf zurückzuführen ist, dass der Standardsetter längst erkannt hat, wie ungeeignet die von ihm propagierte Prüfung auf Börsenniveau für viele große mittelständische Unternehmen ist. Auch diese sollten von einer vereinfachten Prüfung profitieren können.

Der wohl größte Vorteil der IDW-KMU-Standards gegenüber dem konkurrierenden „ISA for LCE“ des IAASB liegt in der Sprache: Sie sind auf Deutsch verfasst. Folgerichtig hat das IDW den ISA for LCE bisher auch nicht übersetzt – eine clevere Strategie, um den Marktanteil der KMU-Standards zu sichern.

Wenn ich mir die letzten Übersetzungen des IDW ansehe (z. B. ISQM1), scheint es vielleicht tatsächlich besser zu sein, wenn das IDW nicht als Übersetzer tätig wird. Ein Beispiel, wohin sich die IDW-Übersetzungen entwickelt haben, zeigt warum.

In der ersten deutschsprachigen Ausgabe der ISA wurde die Vorgabe für ein nationales Qualitätssicherungssystem in ISA 220.2 wie folgt übersetzt:

„Dieser ISA beruht auf der Grundlage, dass die Praxis ISQC 1 oder mindestens so anspruchsvollen nationalen Anforderungen unterliegt.“

Ohne den englischen Wortlaut zu ändern, wurde dies in der aktuellen zweiten Auflage folgendermaßen übersetzt:

„Dieser ISA setzt voraus, dass die Praxis ISQC 1 oder mindestens so strengen nationalen Anforderungen unterliegt.“

Diese neue Übersetzung wurde wortgleich in die ISA [DE] 220.3 übernommen und bildet die Grundlage für die deutsche Übersetzung des ISQM1.3 lit a).

  • Alte Übersetzung: Das nationale System zur Qualitätssicherung musste mindestens so anspruchsvoll wie der ISQC 1 sein. Ziel war die Erreichung vergleichbarer Ergebnisse, wobei der Weg dorthin variieren konnte.
  • Neue Übersetzung: Nun setzt der ISQM 1 den Rahmen, in dem sich die nationalen Regelungen bewegen müssen. Damit ist nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg dorthin vorgegeben.

Diese Änderung stellt eine deutliche Verschärfung dar!

Leider hat das IDW übersehen, dass die englische Formulierung „at least as demanding as“ an sechs weiteren Stellen in den ISA vorkommt. An diesen Stellen wurde die Übersetzung jedoch nicht angepasst, und der alte Ansatz bleibt bestehen.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt?

Die unterschiedlichen Übersetzungen des IDW werfen kritische Fragen auf, insbesondere da die ISA-Standards seit 2009 einem Clearing-Verfahren unterliegen. Der Sinn dieses Clearings besteht darin, den Wortlaut der ISA so anzupassen, dass identische Sachverhalte stets mit denselben Worten beschrieben werden – Synonyme sollen gezielt vermieden werden. Die Regel lautet: „Gleiche Worte bedeuten gleichen Inhalt, unterschiedliche Worte bedeuten unterschiedlichen Inhalt.“ Diese Regel gilt bis heute und wird bei Änderungen oder Anpassungen der Standards konsequent eingehalten. Ziel ist es, jegliches „Hineininterpretieren“ zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund erscheint eine Übersetzung mit abweichenden Inhalten, wie sie das IDW vorgelegt hat, nicht nachvollziehbar.

Stellt sich die Frage: Will das IDW Einfluss auf die Abschlussprüfungen nach ISA nehmen? Soll deren Anwendung konkret erschwert werden?

Die fehlende Übersetzung des ISA for LCE mag angesichts dieser auffälligen Abweichungen bei anderen Übersetzungen sogar als geringfügig erscheinen – und ist daher zu verschmerzen.

 

Vor einigen Tagen wandte sich ein Mitarbeiter der Universität Erlangen-Nürnberg an mich, der aktuell die Akzeptanz der KMU-Standards in der Praxis untersucht. Sein Ziel ist es, Anwender dieser Standards aus dem Berufsstand zu ihren Erfahrungen zu befragen.

Bisher habe ich jedoch nur von einem einzigen Kollegen gehört, dass er die KMU-Standards tatsächlich nutzt – und das auch nur für freiwillige Prüfungen. Für gesetzliche Prüfungen erscheint ihm die Anwendung zu unsicher. Umso gespannter bin ich auf die Ergebnisse der Umfrage.

Zur Umfrage des Uni-Mitarbeiters gelangen Sie hier. Ich bitte alle Anwender und Interessierten, sich kurz Zeit für die Umfrage zu nehmen – in maximal 15 Minuten ist sie abgeschlossen. Ich selbst habe bereits teilgenommen.

Wie bei vielen Umfragen aus dem akademischen Bereich gilt: Sehen Sie dem Fragesteller mögliche Inkonsistenzen in den Fragen nach – schließlich kennt er die Materie in der Regel nur von der theoretischen Seite.

Eine schöne Vorweihnachtszeit wünscht Ihnen
Ihr Holger Friebel
und das gesamte Team von wp-net


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Bildnachweis: Stockvektorgrafik: OneSideProFoto/Shutterstock

 

Holger Friebel
Author: Holger Friebel

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