Gesetzeslücken unterstützen die schleichende Erosion des WP-Testats
Schleichende Erosion
Kategorie: Big4 | WP in den Medien | WPK
Datum: 05.05.2023

Ein neuer Verschwiegenheitsfall, diesmal in 5 Akten: Die Verschwiegenheitspflicht des bestellten Abschlussprüfers und der Wirtschaftsprüferkammer unterstützt die Täuschung des Kapitalmarktes. Das muss sich ändern!

1. Akt: Dank mangelhaftem Prüferschutz kann das Unternehmen den Abschlussprüfer (APr) ungestraft „herauswerfen“.

Dem rechtskräftig bestellten APr wird wegen des drohenden Versagungsvermerks gekündigt. Die zum Schutz des APr geschaffene Vorschrift in § 318 III HGB wird vom Unternehmen ignoriert, ebenso die für eine Neubestellung notwendige gerichtliche Bestellungsverpflichtung. Auch die Wirtschaftsprüferkammer wird über die APr-Kündigung nicht unterrichtet. Das gesetzeswidrig handelnde Unternehmen hat keine Konsequenzen zu befürchten. Denn WP und WPK müssen schweigen!

2. Akt: Der APr-Nachfolger schaltet bei der Auftragsannahmeprüfung seine kritische Grundhaltung ab.

Der „Schein-APr“ bewahrt offensichtlich weder vor noch während der Prüfung die kritische Grundhaltung. Vielmehr scheint der „Schein-APr“ ein Verdrängungskünstler zu sein. Auf seinem Weg zum Testat zieht er nicht in Erwägung, dass es schon einen vor ihm bestellten APr gegeben haben könnte. Auf diese Vermutung müsste ein Wirtschaftsprüfer bei einer sehr späten Bestellung wohl kommen und den Mandanten auf § 318 III HGB (Einschaltung des Gerichts und der WPK) hinweisen. Aus dem Prüfungsbericht des Vorjahres oder dem Bundesanzeiger kann der Vorprüfer leicht ermittelt werden.

Die kritische Grundhaltung verlangt u.a.: Der Wirtschaftsprüfer muss im Rahmen der Auftragsannahmeprüfung auch die Integrität der Geschäftsführung und die mit dem Auftrag verbundenen Risiken beurteilen (§ 43 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 WPO). Deswegen sollte der „Schein-Prüfer“ das Gespräch mit dem echten APr suchen, um seine fragwürdige Beauftragung nicht zu gefährden. Der „Schein-APr“ nimmt den Auftrag jedoch ohne Aufklärung der Rechtslage an und erteilt am Ende seiner Prüfung seinen Bestätigungsvermerk (BV).

3. Akt: Das Testat des falschen Prüfers ist trotzdem geschützt

Der neue Bestätigungsvermerk gelangt durch Offenlegung im Unternehmensregister an die Öffentlichkeit, wird also eine Tatsache. Weder die WPK, noch der immer noch wirksam bestellte (erste und echte APr) dürfen dies monieren. Die Verschwiegenheitspflicht fungiert hier als „gesetzlicher Maulkorberlass“. Ein schützenswertes Gut, um die Verschwiegenheit aufzuheben, liegt offenbar nicht vor. Sechs Monate nach Offenlegung des „neuen“ Jahresabschlusses, mit neuem Testat, kann die Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden.

4. Akt: Der „Schein-BV“ dient somit dem Schutz des Kapitalmarktes

Der neue Abschluss mit einem Schein-Testat wurde durch Zeitablauf geheilt. Wer die Öffentlichkeit täuschen will, braucht nur sechs Monate Ausharrungsvermögen nach Offenlegung! Dann ist wohl alles wieder im Lot.

5. Akt:  Wird die WPK gegen das „Schein-Testat“ aktiv?

Nur gegen den WP, der das „Schein-Testat“ erteilt hat, könnte die WPK berufsaufsichtsrechtlich vorgehen.  Sie wird es wohl nicht getan haben. Das ganze Verfahren gegen den „Schein-APr“ ist der Verschwiegenheit „zum Opfer gefallen“. Falls dem „Schein-APr“ die Mitwirkung an der Täuschung des Kapitalmarkts doch nachgewiesen werden könnte, dann kann dieser WP im Ernstfall seine WP-Zulassung zurückgeben (analog jüngst von diversen EY-WPs praktiziert). Am Ende wird wohl die WPK diesen unlauteren Vorgang ohne Ergebnis abgeschlossen haben.

Was kann man aus den erkannten Gesetzeslücken lernen?

Der Fehler liegt nicht nur in der Nichteinhaltung oder Unkenntnis der Berufspflichten, der mangelhafte Schutz des Abschlussprüfers und seines Testats ist nicht erst seit gestern bekannt. Die WPK kennt das Problem wohl schon länger: Die dem Abschlussprüfer und auch der WPK aufgezwungene „totale“ Verschwiegenheit trägt nicht zur Verhinderung von Scheintestaten bei. Vielmehr unterstützt die aktuelle Rechtslage offenkundig die Täuschung des Kapitalmarktes.  

Warum soll die WPK den Bundesanzeiger nicht informieren dürfen, um damit Schaden vom Kapitalmarkt abzuwenden?  Warum darf ein falscher Abschluss und Schein-BV nach 6 Monaten als „geheilt“ im Bundesanzeiger stehen. Die formelle Heilung heilt die „Krankheit eines falschen Abschlusses und des Schein-Testats“ nicht wirklich. Das Ergebnis ist einer schlechter Rechtsfrieden. Der Abschluss bleibt so falsch, wie am Anfang. Die Teilnehmer am Kapitalmarkt (z.B. Banken, Lieferanten) werden weiter durch die Offenlegung des falschen Abschlusses mit dem „Schein-Testat“ getäuscht. Die frühzeitige Versagung des BV wäre also richtig gewesen, damit ein Insolvenzreife Unternehmen die Gläubiger nicht weiter schädigen kann. Der Kapitalmarkt muss vor solchen Täuschungen geschützt werden.  Auch dazu sind die gesetzestreuen Abschlussprüfer da. Das höherwertige Rechtsgut „verlässlicher Kapitalmarkt“ muss immer Vorrang haben. Dazu braucht es allem Anschein nach noch wirksamere Gesetze und weniger Umgehungsmöglichkeiten.

Wenn es also die von der WPK behauptete Gesetzeslücke zum Schutz des bestellten Abschlussprüfers gibt, dann fragen wir uns: Wann will die WPK endlich aktiv, um diesen Gesetzesmangel abzustellen.

Um es mit Einstein zu sagen: Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.


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Bildnachweis: Fotolia

Michael Gschrei
Author: Michael Gschrei

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