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Heute präsentiert das Beiratsmitglied Antje Muskulus-Barthel einen weiteren Fall aus dem Buch der Fehlerkulturen. Obwohl der Streit zwischen den beiden Wirtschaftsprüfern bis heute juristisch noch nicht abgeschlossen ist (daher gibt es kein Aktenzeichen), möchten wir keine Zeit verlieren, um Unternehmensbewerter bei der Fehlervermeidung zu unterstützen.
Ein Blick über den Tellerrand bei der Abschlussprüfung und das gründliche Studium des Gesellschaftsvertrags helfen dabei, potenzielle Risiken zu erkennen und zu vermeiden. Eine kritische Grundhaltung ermöglicht es uns, unbrauchbare Regelungen im Gesellschaftsvertrag zu identifizieren, was letztlich die Beziehung zum Mandanten stärkt.
So spart man nicht nur viel Geld, sondern schützt auch die eigene Reputation. Doch möchte ich Frau Muskulus-Barthel an dieser Stelle nicht vorgreifen.
Ich wünsche den Lesern viele „Aha-Momente“ und
verbleibe mit besten Grüßen
Ihr Michael Gschrei
und das Team von wp-net
Falsche Bewertung von KMU-Unternehmen durch falsche Vorgaben im Gesellschaftsvertrag!
Ein Wirtschaftsprüfer hatte bei einer Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern eine kleine inländische Kapitalgesellschaft bewertet und dabei sowohl den IDW S1 wie auch den wp.net-Hinweis zur Unternehmensbewertung bei KMU auftragsgemäß angewendet.
Schwarz auf weiß vertrauen kann teuer werden! Auf den Inhalt kommt es an!
Der gerichtlich bestellte Schiedsgutachter gab sich mit dem IDW S 1 zufrieden. Eine Begründung, warum er das KMU nur auf Basis von Aktienkursen großer börsennotierter Unternehmen bewertet hat, lieferte ihm der Gesellschaftsvertrag: „Die Bewertung für Zwecke der Auseinandersetzung hat „nach dem Standard des IDW S1 für Unternehmensbewertungen“ zu erfolgen“. Daran hatte sich der Schiedsgutachter streng gehalten.
Der Beta-Faktor des IDW S1 misst das systematische Risiko eines Unternehmens im Vergleich zum gesamten Markt. Er wird oft in der Kapitalwertberechnung (CAPM) verwendet, um den erwarteten Ertrag einer Investition zu bestimmen. Der Beta-Faktor basiert in der Regel auf Aktienkursen großer börsennotierter Unternehmen.
Mit dem IDW-Gutachten S 1 in die Insolvenz …
Es kam, wie es wohl kommen musste: Auf Basis der kapitalmarktorientierten Prämissen (z.B. Beta-Faktoren der peer-group) und internationalen Branchentrends errechnete sich ein Unternehmenswert, der ein Mehrfaches der Bilanzsumme bzw. des Eigenkapitals der GmbH betrug.
Die drastische wirtschaftliche Folge des Gutachtens: Wäre dem klagenden Gesellschafter der so ermittelte Abfindungsbetrag zugestanden worden, wäre das Unternehmen in die Insolvenz gegangen und der Kläger hätte gar nichts bekommen.
Ursachenforschung
Der Ursprung für diese offenkundige Bewertungsschieflage war eine Bestimmung im Gesellschaftsvertrag. Dort bestimmten die Gesellschafter, dass für Zwecke der Auseinandersetzung, die Bewertung „nach dem Standard des IDW S1 für Unternehmensbewertungen“ zu erfolgen hätte. Der Schiedsgutachter hat sich dann auch streng daran gehalten.
WP-Berufsstand blamiert sich mit IDW S 1
Zurück bleiben zwei Berufskollegen, die sich vor dem Gericht und den Parteien kontrovers auseinandersetzen mussten. Dies hatte nicht nur Mehrkosten der Begutachtung zur Folge, sondern auch Zweifel an deren fachlichen Qualifikation. Die Reputation des WP-Berufsstandes litt schwer darunter.
Eine wohl berechtigte Frage bleibt: „Kann eine seriöse und qualifizierte Bewertung eines KMU dazu führen, dass die Auszahlung des errechneten Geschäftsanteilswerts gleich die Insolvenz des Bewertungsgegenstands nach sich zieht?“
Fehler im IDW-System oder Fehler beim Anwender?
Der IDW S1 wurde bekanntlich für börsenorientierte Unternehmen entwickelt. Die sture Anwendung des S1 für die Bewertung von KMU ist nach S1 Ziffer 8.3. i.V.m. Ziffer 8 nicht erlaubt. Sondern der S 1 war vom IDW selbst durch den Praxishinweis 1/2014 für KMU ergänzt worden. Auch der Arbeitskreis Unternehmensbewertung von wp.net e.V. hatte letztmalig in 11/2022 den „Hinweis für die Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)“ überarbeitet und veröffentlicht.
Mit der Fehlerkultur daraus lernen!
Offensichtlich ist die eingeschränkte Anwendung des IDW S1 bei KMU bei einigen Gutachtern nicht hinlänglich bekannt. Oder die Konsultationspflicht wurde vom Schiedsgutachter nicht ausreichend gewürdigt, oder die Vorstellung griff ein: “Je höher der Wert, desto höher das Honorar?”
Im Sinne der Fehlerkultur wollen wir fachliche Schlechtleistungen zur künftigen Vermeidung an den Berufsstand weitergeben.
Der „Grundstein“ für die Bewertungsschieflage wurde schon mit der Abfassung des Gesellschaftsvertrags gelegt. Daraus folgt: Im Rahmen der Jahresabschlussprüfung ist auch der Gesellschaftsvertrag auszuwerten, um Schieflagen rechtzeitig zu beseitigen. In Abstimmung mit dem Vorstand von wp.net e.V. spreche ich die Empfehlung aus :
Ihrem Mandanten zu raten, die Gesellschaftsverträge mit derartigen Bestimmungen zur Abfindungsbewertung sinngemäß wie folgt klar zu stellen bzw. zu ergänzen:
„Die Bewertung der Gesellschaft hat nach den für die Größe des Unternehmens einschlägigen Verlautbarungen der Wirtschaftsprüfer zur Ermittlung des Zukunftsertragswertes analog des IDW S 1 oder Praxishinweis 1/2014 zu erfolgen.“
Man darf davon ausgehen, dass die entstehenden Kosten der notariellen Ergänzung des Gesellschaftsvertrages gewiss geringer sind als die Kosten, die bei widerstreitenden Gutachtern entstehen.
Und im Bewertungsfall wäre doch der das Mandat betreuende Wirtschaftsprüfer derjenige, der als erster um ein widersprüchliches Gutachten gebeten werden würde. So schützen Sie die Mandatsbeziehung vor unnötigen Konflikten und zusätzlichen Kosten, die durch divergierende Bewertungen entstehen könnten.
Es grüßt Sie herzlich
Ihre Antje Muskulus-Barthel
und das Team von wp.net
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Bildnachweis: Cagkan Sayin/Shutterstock