Zwei Jahre vor Wirecard erlangte die Nummer 4 der Big4 – die KPMG – mit ihren Carillion-Testaten traurige Berühmtheit. Anfang Jan. 2018 stand dem 29 Mio. Pfund Bankguthaben ein Schuldenberg von 7 Mrd. Pfund gegenüber. Es folgte der Konkurs. Für den Insolvenzverwalter war Carillion mindestens schon zwei Jahre früher konkursreif. KPMG hatte das Vermögen und die Schulden von Carillion lt. FT-Meldung nicht sachgerecht geprüft, bis zum bitteren Ende die Carillion-Abschlüsse uneingeschränkt testiert.
1. Nach 90 Jahren WP-Abschlussprüfung immer noch die gleichen Fehler
Der Insolvenzverwalter einigte sich kürzlich mit KPMG auf eine unbekannte Summe „Schadenersatz“. Wieviel von den ursprünglich geforderten 1,3 Mrd. Pfund KPMG und Ihre Versicherung zahlten, bleibt im Dunkeln. Aber nicht nur die Höhe des Schadenersatzes, auch so vieles, was mit den Prüfermängeln zu tun hat, bleibt geheim.
Der Fehlerkultur wird damit eine Absage erteilt, weil die konkreten Hintergründe des Prüfer-Gaus geheim bleiben. Der britische KPMG-Chef spricht zwar von Lehren, die er aus dem „extremen und schwerwiegenden Unternehmensversagen“ ziehen möchte – aber was meint er damit genau? Die allseits bekannte Verteidigungsstrategie lautet: Die Verantwortung für den Untergang haben andere, in unserem Fall der Carillion-Vorstand. Hätte KPMG die Rechnungslegung des Vorstands nicht prüfen müssen?
Ein Jahr später durfte KPMG Deutschland die dt. EY zurück auf den Prüferpfad führen: Dann traute sich EY nach 5 Jahren doch noch, das Testat zu verweigern und darf nun behaupten, EY hätte den Betrug aufgedeckt. Der quälende Weg bis zur Versagung des BV durch EY wird verschwiegen. Die Wirecardkurse waren in dieser Zeit extrem volatil, sogar der frühere APAS-Chef zockte kurzzeitig mit.
Ende Jan. 2023 wird bekannt, dass vier EY-Wirecard-WPs ihre WP-Zulassung zurückgegeben haben. Vorher hat die APAS jahrelang viel Geld für die Aufklärung ausgegeben. Die Untersuchungsarbeit und die Ergebnisse landen jetzt wohl im Schredder. Die Presse berichtet, dass die WPs mit dem Rückzug vom WP möglichen Strafen der APAS entgehen wollen.
Nachteil für WP-Berufsstand: Wir werden nicht mehr erfahren, was letztendlich vorsätzlich oder bedingter Vorsatz bei der WP-Arbeit gewesen ist. Wieder ein Prüfergau, aus dem die Wirtschaftsprüfung nichts lernen kann. Die Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung von EY nach Wirecard sind für uns befremdend. Der Spiegel zitierte am 18.06.21 einen EY-Geschäftsführer: „Man startete damit, mit internen Schulungen die Mitarbeiter umzuerziehen“.
Eine unserer Lösungen zur künftigen Fehlervermeidung ist die sog. positive Fehlerkultur. Unser Angebot einer Fehlerkultur an Big4&IDW-Dörschell-Liste wurde vom damaligen WPK-Präsidentschaftskandidaten Andreas Dörschell abgelehnt.
2. Der nicht mehr zeitgemäße Umgang mit Prüfungsfehlern
Die Fehlerkultur war eines der Wahlkampfthemen von wp.net im WPK-Wahlkampf Beiratswahlen 2022. Und wir sind immer noch an einer Umsetzung stark interessiert.
WPK-Präsidentschaftskandidat Andreas Dörschell ließ uns nach der Wahl mitteilen, dass die beiden wp.net- Listen (mit 40% Stimmenanteil) nicht im Vorstand vertreten sein werden. Die IDW & Big4-Listen vertreten den gesamten Berufsstand. Mit 9 von unseren 10 Programmpunkten könne er nichts anfangen. Darunter auch unsere Forderung nach Einführung einer Fehlerkultur zur erfolgreichen Fehlervermeidung bei Abschlussprüfungen.
Der vorgesehene WPK-Vorstand lehnte die Fehlerkultur rundheraus ab, weil:
- „Wir die Gefahr sehen, dass sich bei Abschaffung der Bundesanzeiger (Banz)-Durchsicht staatliche Institutionen der Sache annehmen.
- Wir die Banz-Durchsicht als ein maßvolles Enforcement-Verfahren im Rahmen der beruflichen Selbstverwaltung ansehen.
- Eine Berufsaufsicht ohne Sanktion der Öffentlichkeit nicht vermittelbar ist.
- Das öffentliche Signal einer Abschaffung der Banz-Durchsicht unserem Qualitätsanspruch widerspräche.“
Für den WPK-Vorstand hat somit die Berufsaufsicht (Überwachung, Sanktionierung) Vorrang vor der Fehlerkultur. Die Überwachung der WPs mittels Fehlersuche in offengelegten Abschlüssen hat sich für WP Andreas Dörschell bewährt.
Während Fehlerkultur dazu beiträgt, künftige Fehler zu verhindern, geht es bei der Durchsicht der im Banz eingestellten Abschlüsse letztendlich um Bestrafung. Auf die Sanktionierung will die Kammer zu Gunsten der Fehlervermeidung also nicht verzichten. Eine klare Absage an die Fehlerkultur also! Wenn wir heute noch die gleichen Fehler machen wie zu Zeiten der Einrichtung der Wirtschaftsprüfung im Jahr 1931, dann hat dies einen Grund: Die Fehler bleiben geheim. Aus Fehlern lernen wird unterbunden.
3. Gegenstand der Fehlerkultur
3.1. Von der Fehlerkultur der zivilen Luftfahrt lernen
Die Luftfahrt reduzierte seit 2000 ihre Unfallrate im Luftverkehr erheblich und dies trotz stetig steigender Flugzahlen und immer enger getakteter Flugpläne, bestätigt Buchautor Philip Keil. In der Luftfahrt erhöht jeder bekannte Fehler die Flugsicherheit, weil die Fehler weltweit unter den Fluggesellschaften kommuniziert werden. Um künftig Fehler wirklich zu vermeiden, verlangt die Fehlerkultur der Luftfahrt die Transparenz über die festgestellten Fehler über Unternehmen und Ländergrenzen hinweg.
Es reicht nicht, wenn die Prüfer nur ihre Fehler kennen. Man muss die Fehler im Beruf kommunizieren (natürlich anonymisiert). Der Prüferberuf muss alle Prüferfehler zentral erfassen (WPK) und den gesamten Prüfer-Berufsstand darüber unterrichten. Damit lernt aus einem Fehler nicht nur eine Person, nicht nur das Prüfungsteam, sondern der gesamte Berufsstand.
Um die Mitwirkung der Prüfer zu fördern, wird nicht die Fahrlässigkeit der Fehlerverursachung bestraft. Im Gegenteil: Der Pilot wird bestraft, der den Fehler zurückhält, schreibt Philip Keil. Nur aus diesem Grund können die Piloten Ausnahmesituationen, wie Windscherung (überraschende Winddrehung um 180 Grad) meistern, weil sie die Fehler kennen und die Fehlerbehebung zig-fach geübt haben.
Die strafende Berufsaufsicht zur Fehlervermeidung versagt auch deswegen, weil die Prüfungsfehler dem Berufsstand nicht zur Verfügung stehen. Es geht ja nicht um eine Pranger-Fehlerkultur, sondern um die positive Fehlerkultur.
Die Wirecard-Prüfer hätten nur die 1. Auflage von Peemöller´s Buch „Bilanzskandale“ lesen müssen, um zu erfahren, wie Parmalat beim Bankguthaben betrogen hat. Die Prüfung Wirecard von 2010 bis 2020 hat große Ähnlichkeiten mit Parmalat von 1990 bis 2003. Auch Parmalat betrog über 15 Jahre mit einem fiktiven Bankguthaben von rund 4 Mrd. $. Kein Parmalat-Prüfer hat sich wohl die Frage gestellt: Warum braucht Parmalat neue Obligationen, wenn 4 Mrd. $ auf dem Bankkonto herumliegen? Auch bei EY scheint sich niemand die ähnliche Frage gestellt zu haben: Für was braucht Wirecard 3 Mrd. EUR Darlehen, wenn 2 Mrd. EUR in Fernost auf dem Konto sind?
3.2. Positive Fehlerkultur braucht gelebtes Prüfer-Teamwork
Was für die Piloten die Flugtechnik und der Simulator sind, sind für die Prüferteams die Anwendung der Berufspflichten (§ 43 Abs. 1 und 4 WPO)! Die kritische Grundhaltung scheint im täglichen Prüferleben immer noch nicht angekommen zu sein.
Neben den gelebten Berufspflichten zur Sicherung des Bestätigungsvermerks, kommen weitere Sicherungselemente hinzu. Ein funktionierendes Prüfungsteamwork ist für eine mangelfreie Prüfung elementar. Teamwork heißt, das Prüferteam muss zusammenarbeiten und seine Erfahrungen laufend austauschen. Dies zeigt sich darin, dass über alle Fehler im Team gesprochen wird, damit die Assistenten auch die „Red Flags“ (Warnzeichen) beim Interview oder beim Studium der Unterlagen erkennen und sich nicht vom Unternehmenspersonal mit Aussagen abspeisen lassen. Dann sind noch jene Risikofaktoren zu identifizieren, die bei der konkreten Prüfung ein höheres Schadenspotential haben.
3.3. Zur positiven Fehlerkultur gehört die Fehleranalyse
Das Prüfungsunternehmen muss am Ende der Prüfung zusammenstellen, an welcher Stelle der Prüfung welche Fehler gemacht wurden. Waren es die fehlenden Prüfungsnachweise? Waren die Prüfungsnachweise für die hinreichende Prüfungssicherheit zwingend in der Aussage und ausreichend im Umfang? Gab es nur Kopien oder auch Originaldokumente? Hat der Mandant bei Auskunftsanfragen und Unterlagenanforderungen gemauert? usw.
Bei der HRE-JA-Prüfung 2007 sehe ich als größten Prüferfehler an, dass die Abschlussprüfer die mangelhaft transparenten strukturierten Produkte (CDOs) mittels Plausibilisierung geprüft und für richtig bewertet beurteilt haben. Kein Wirtschaftsprüfer stellte sich die Frage: „Mit was kann man mangelhaft transparente Finanzprodukte vergleichen, also plausibilisieren, wenn man das Originalprodukt gar nicht kennt?“ Ein Tiefpunkt der Abschlussprüfung in Bezug auf den zwingenden Prüfungsnachweis war für mich damit erreicht!
Fehlerhaft halte ich auch den damaligen IDW PS 300, weil dieser auch noch die Plausibilisierung ermöglichte (im Zweifel werden Prüfungsnachweise eher überzeugend als zwingend sein). Die Fehler der EY-Prüfung Wirecard waren viel umfangreicher. Der Wambachbericht liefert viele Beispiele von „Red Flags“ und viele Verstöße gegen Berichtspflichten.
3.4. Das größte Risiko ist der Human Faktor in der Abschlussprüfung
Das größte aller Prüferrisiken bleibt der Human Faktor. Auch die Prüfer sind zur Vermeidung von Fehlerketten aufgefordert, indem Sie die Einzelfehler kommunizieren. Die Frage, warum niemand aus dem Team auf Fehler hingewiesen hat, muss aufgeklärt werden. Häufig liegt die Ursache mangelhafter Kommunikation an der zu großen Machtdistanz zwischen verantwortlichen Wirtschaftsprüfern und den restlichen Teammitgliedern. Vielfach scheuen die Prüfer und Assistenten davor zurück, den „Chef-Wirtschaftsprüfer“ über die Probleme zu zu informieren, wie im finance magazin am 29.07.21 nachzulesen war: Mit dem Verweis auf die Prüfung wie im Vorjahr, ziehen sich Fehler beim Prüfungsnachweis jahrelang durch den Abschluss. Mögliche Fehler werden so nicht entdeckt.
Der von deutschen Gesetzgeber eingeführte auftragsbegleitende Qualitätssicherer aus der eigenen Praxis ist wenig hilfreich bei der Fehlervermeidung. Einen Beweis lieferte die EY-Wirecardprüfung. Diese Person muss praxisunabhängig sein. Bei Einzelpraxen geht es gar nicht anders, warum nicht auch bei den übrigen Praxen. Dieser Prüfer muss auch alle aktuellen und letztjährigen Fehler kennen, um seine Prüfungsüberwachung risikoorientiert umsetzen zu können.
Wegen der Berufspflicht der Eigenverantwortlichkeit des verantwortlichen Abschlussprüfers ist die rollengebundene Hierarchie im Team nur durch Gesetz zu lösen.
4. Chance für Praxis mit Fehlerkultur: Fehler werden Teil des Prüfungserfolges
Dem Fehler hängt das Negativ-Image „Versager“ an. Wir müssen den tabuhaften Umgang mit Fehlern in der Abschlussprüfung verändern und umdenken. Fehler müssen in die Prüfung integriert werden, damit dem Vertuschen ein Ende bereitet wird. Der beste Fehler ist der mit dem größten Lernerfolg. Diese Erkenntnis zielt auf die WP-Praxis im inneren und nicht auf die Wirkung nach außen. Es geht um die interne Kommunikation über Fehler und ihre Potenziale. Nicht Vertuschung und Strafe, sondern Offenheit und Anerkennung sind der Kern der positiven Fehlerkultur, schreibt Philip Keil. Dies muss auch in der Wirtschaftsprüfung möglich sein.
5. Weniger Fehler bedeuten auch höhere Honorare
Die bisherigen Fehlervermeidungsstrategien (Druck durch Qualitätskontrollen oder APAS-Sonderuntersuchungen) haben als nachlaufende Kontrollen wenig zur Fehlervermeidung und -kommunikation beigetragen.
In Deutschland wird durch die massive Geheimhaltung der Ergebnisse zusätzlich das Lernen am Fehler behindert. Die letzte Qualitätskontrolle bei den Big4 in 2020/2021 war der Kommission f. QK nur ein paar nichtssagende Zeilen im Tätigkeitsbericht wert.
USA und Großbritannien sind hier schon viel weiter und veröffentlichen nicht nur eine jährliche Mängelquote, sondern auch Einzelfälle. Der FT-Leser wird bestens unterrichtet. Dort hat man erkannt, dass das Prüfer-Oligopol das Risiko ist und nicht die prüfenden kleinen und mittelständischen WP-Praxen.
Wenn wir es schaffen, die positive Fehlerkultur richtig zu praktizieren, dann hat diese Lösung das Potenzial, die nachlaufenden Kontrollen stark zu reduzieren. Durch weniger Fehler sollten dann auch höhere Honorare möglich sein.
In den USA werden im Schnitt das 4,3-fache an Prüfungshonoraren bezahlt, als in Deutschland schreibt die FT am 3.7.2020. Deutschland ist eher das Schlusslicht bei den Honoraren.
Lassen Sie uns gemeinsam die Fehlerkultur angehen, versuchen und beweisen: Kommunizierte Fehler im Berufsstand machen die Prüfer nicht nur schlauer. Die Fehlerkompetenz führt zu höheren Honoraren, weil die Prüfer prüfungs- und verhandlungssicherer werden.
Ich freue mich auf Ihre Kommentare an vorstand@wp-net.com.
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Bildnachweis: Gustavo Frazao und xtock/Shutterstock